Dieses Kurzmärchen ist schon etwas älter (2010) und könnte eine Überarbeitung vertragen. Doch bis dahin möchte ich es Euch nicht vorenthalten. Es ist die erste von noch weiteren geplanten Moosbewohnergeschichten. Ich schrieb es damals für eine neue Klassenkameradin, die anfangs das Gefühl hatte, nicht dazuzugehören.
Es war einmal eine große Wiese, die da lag mitten in den schönsten Wäldern irgendwo auf der Welt. Sie wurde „die Lichtung“ genannt und überall war das saftige Grün der Grashalme, die bunten, duftenden Blüten der Blumen und die frische, von lebhaften Regenwürmern lockere Erde bekannt. Bei den Maselhäusen, den Schmetterdingern, den Streifenbienchen und gepunkteten Karienmäfern.
Mitten unter dieser bunten Pracht, inmitten der Lichtung an einem großen, grauen mit dunkelgrünem Moos bewachsenen Stein lebten auch die Moosbewohner. Kleine grüngelbe Wesen mit schillerlockigen, dunkelgrünen Haaren auf den kleinen Köpfen, unter denen hübsche Gesichter versteckt waren, mit großen froschgrünen Augen und dichten, schwarzen Wimpern. Fröhlich lebten sie in den Tag hinein, trainierten ihre Reitameisen, die Flugfalter und korallenblaufarbenen Winzlingsfrösche mit den gelben Streifen auf ihrer glitschig-glänzenden Haut.
Die winzigen Moosbewohnerkinder spielten um die Füße der Eltern herum, während diese in Blatt-Trichtern und Blumenkelchen frisches Wasser aus dem nächsten See, „der wandernden Lache“, sammelten oder Flechtkränze aus rosa-weißfarbenen, samtigen Blütenblättern bastelten. Es sollte nämlich ein großes Fest geben, auf das sich alle Moosbewohner jedes Jahr aufs Neue freuten. Das ganze Jahr über, das auf der Lichtung einen ganzen Monat vom ersten bis zum nächsten Vollmond dauert, freuten sie sich darauf und taten nichts anderes, alles sich und alles andere auf dieses große Fest vorzubereiten.
Die Moosbewohnerbäcker probten die traditionellen Rezepte: Streifenbienenhonigkuchenkekse, in Bärlauchblätter gewickelte Ameiseneierwickel oder die legendären, in frischer Spinnennetzseide umwobenen gebackenen Wespenstacheln mit einem Tropfen Nebeltau. Hohe Preise waren auf die besten Rezepturen ausgesetzt und die Anerkennung erfolgte auf die beste Leistung mit Grünblatturkunden und Steintalern. Aber auch die Bastkostümschneiderinnen versuchten ihr Bestes, immer wieder noch schönere Grashalmröckchen zu nähen. Wie auch die Schmuckhersteller versuchten, aus den hochwertigsten Blütenpollen Perlen und aus dem besten Glassteinen Juwelenschmuck an Mooshalmketten zu kreieren. Jeder wollte der beste sein und versuchte in seinem Fachgebiet zu trumpfen.
Man hörte das laute Treiben, das Lachen und die Fröhlichkeit, die Freude auf das sich nahende Fest. Jeder schien beschäftigt, alle hatten zu tun … nur ein kleines Marienkäferchen saß auf einem Stein nahe der wandernden Lache, wenn diese sich in der Nähe des Dorfes befand, und schaute dem emsigen Treiben zu. Das Marienkäferchen gehörte eigentlich zu einer großen Gruppe Karienmäfer, die jedoch weitergezogen waren, ohne das Marienkäferchen mitzunehmen. Es hatte sich ablenken lassen von zwei hübschen, kleinen Glühwürmchen, die ihr Licht um es herum schmeichelten, immer wieder mit ihm spielen wollten und ihm Freude bereiteten.
Immer noch waren die Glühwürmchen da, doch das Marienkäferchen wünschte sich nichts sehnlicher, als gemeinsam ihnen am Fest teilhaben zu können, von dem es schon so viele wunderprächtige und hübsche Dinge gehört hatte. Doch es traute sich nicht recht, die Moosbewohner anzusprechen. Und so saß es weiterhin immer an der wandelnden Lache oder auch auf den Blütentellern der ringsherum wachsenden hohen Blumen und beobachte aus der Ferne.

Tag ein, Tag aus tat das Marienkäferchen nichts anderes, als mit den Glühwürmchen zu spielen und wenn diese sich mittags schlafen legten, seinen Blick auf das nahe Dorf zu richten. Manchmal kamen einige Moosbewohner an ihm vorbei, grüßten es freundlich und nickten dem Marienkäferchen in ihrer herzlichen Art zu, sodass es sich freute und zurücklächelte. Es war ein so hübsches Käferchen und die Moosbewohner tuschelten und fragten sich, ob es denn wisse, wie hübsch es eigentlich war.
Immer öfter kamen sie beim Käferchen vorbei und unterhielten sich immer länger mit ihm. Solange, bis die Moosbewohner es in ihr Herz geschlossen haben, ihren Rat einholten und sich für eine Pause mit ihm über abenteuerliche Geschichten von den Ameisenreitern erzählten. Das Marienkäferchen fühlte sich immer ein bisschen wohler, doch glaubte es noch immer, dass es ein Außenseiter war. Es war doch weiß gepunktet auf seinem roten Kleid, und hatte schwarze Fühlerchen, während die Moosbewohner in den schönsten Grüntönen leuchteten. Und als der große Tag des Festes gekommen war, war es traurig und zog sich schüchtern auf einen seiner liebsten Steine zurück und weinte leise in sich hinein. So gerne hätte es beim Moosbewohnerfest teilgenommen.
Als das Fest eigentlich schon hätte beginnen sollen, war keine Musik zu hören. Die Moosbewohner warteten, doch nichts geschah. Sie sahen sich ratlos und fragend an, doch in keinem der kleinen hübschen Gesichter mit den großen Augen zeichnete sich eine Antwort ab. Da stand ein kleines Moosbewohnerkind auf und lief schnell aus dem Dorf zur wandelnden Lache. In der Dunkelheit konnte es nicht sehen, doch die Glühwürmchen wiesen ihm den Weg bis es beim Käferchen angekommen war. Es war erschrocken, dass es weinte.
Man muss nämlich wissen, dass die Moosbewohner sehr empfindsame kleine Wesen sind und immer wollen, dass es dem anderen gut ergeht. Und so fragte das kleine Moosbewohnerkind das Käferchen: „Warum weinst Du denn, Käferchen? Und wo bist Du überhaupt?“ Das hübsche Käferchen schaute beschämt auf, wollte schon abwehren, doch sah es in den großen grünen Augen, dass es nicht lügen sollte, um das Vertrauen des Moosbewohnerchens nicht zu verlieren. Die zweite Frage verstand es nicht und so antwortete es auf die erste:
„Ich bin traurig, weil ich nicht bei Euch sein kann, wo ich Euch doch so gerne hab‘. So sehr wünschte ich mir, zu Euch zu gehören, aber ich bin nun einmal ein Marienkäferchen und ihr seid Moosbewohner.“ Da strahlte das Moosbewohnerkind das Marienkäferchen an, nahm es bei der Hand und zog es zurück zum Dorf. Dort sahen alle erwartungsvoll auf, freuten sich und klatschten in die winzigen Hände, als das Marienkäferchen mit seinen Glühwürmchen in die Dorffestmitte trat. Es verstand gar nichts und schaute sich mit einem unsicheren Lächeln auf dem Lippen um. Noch immer applaudierten die Dorfbewohner und strahlten das Käferchen an. Sie waren glücklich, dass das Fest endlich beginnen konnte.
„Weißt Du,“ sagte dazwischen das kleine Moosbewohnerkind, das des Käferchens Hand weiterhin hielt, „Du bist doch unser Mittelpunkt geworden und wir haben beschlossen, dass von allen Preisen Du den schönsten gewinnst. Du bist schon längst das hübscheste Moosbewohnermädchen, das wir je gesehen haben.“ Und so durfte das Käferchen mit den Moosbewohnern feiern, weil es selbst ein Moosbewohner war – schon viel länger, als es das überhaupt gemerkt hatte. Und wenn sie noch am Leben sind, dann feiern sie auch heute noch ihr allseits beliebtes, großes Moosbewohnerfest – mit dem Marienkäferchen und den beiden kleinen Glühwürmchen, die fortan neben dem Vollmond für die Festbeleuchtung sorgten.
Sirpa K. Weiler | Juni 2010 | gewidmet Nadine Frei
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